16
September
2015

Führung und Emotion – passt das zusammen?

Das menschliche Motivationssystem ist stark auf Empathie und Achtsamkeit ausgelegt. Die Führungskraft, die dies missachtet, beißt sich die Zähne aus.

Franziska Ambacher: Führung und Emotion – passt das zusammen?Oft werde ich gefragt, ob Emotionen überhaupt mit der Führungsaufgabe zusammenpassen? Der sehr skeptische Unterton klingt dabei gedämpft in den Hochflorteppich-Etagen der Führungsriegen und ist dennoch nicht zu überhören. Meine Antwort lautet klar und unmissverständlich „JA – unbedingt, denn Emotionen sind zentrale Merkmale unseres Menschseins und Führung im eigentlichen Sinne konzentriert sich auf Menschen, nicht auf Prozesse!"

Jeder von uns kennt die unzähligen Emotionen am Arbeitsplatz: Freude, Stolz, Leidenschaft, Euphorie, Wut, Neid, Hass, Enttäuschung, Missgunst, Angst, Zweifel, Ärger, Einsamkeit oder Schuld. Fortlaufend wirken sich diese Emotionen auf den Einzelnen, dessen Organisation und die Kundenbeziehungen aus. Systemisch betrachtet trägt daher jeder mit seiner emotionalen Intelligenz dazu bei, ob die Unternehmenskultur anziehend oder eher abstoßend auf das Individuum wirkt.

Die Emotion ist der Intimfeind des Managers

Emotionen gelten weithin unter Führungspersonen als bedrohlich, schlecht beherrschbar und damit nicht zu managen. Und Manager meinen stark sein zu müssen, keine Schwäche zeigen zu dürfen und wohlfeile Kommentare von der Stange anzubieten. Alles in der Hoffnung, sich so die Probleme vom Hals halten zu können. Demzufolge ist die Emotion zum Intimfeind des kontrollversessenen Managements geworden. Gesunde und gute Führung ist das Gegenteil von Kontrolle, die eher aus Misstrauen denn Vertrauen besteht. Doch allen Unkenrufen zum Trotz versuchen – wie schon zu Taylors Zeiten – viele Manager nach wie vor, „das Biest zu zähmen".

Es liegt noch nicht so lange zurück, dass die Postulate „moderner" Führungskultur davon sprachen, es reiche aus, wenn Vorgesetzte lediglich auf die konfliktbefreite Zusammenarbeit ihrer Mitarbeiter achten würden. Heutzutage weiß eine Vielzahl zukunftsorientierter Führungskräfte, dass neben deren kognitiven Fähigkeiten vor allem die emotionalen von größter Bedeutung sind, um Einfluss auf die Gefühlslage ihrer Mitarbeiter und die allgemeine Arbeitsatmosphäre nehmen zu können und damit mehr Produktivität, Leistung und Sinn stiften.

Führungskrisen sind soziale Aufmerksamkeits-Defizite

Wer nach wie vor deutlich mehr Aufmerksamkeit der Reorganisation von Geschäftsprozessen widmet, als sich den Menschen seiner Organisation zuzuwenden, gerät immer mehr in eine ernstzunehmende Führungskrise. Dabei schwächt sich die Führungsfähigkeit weiter, weil sich nur hinter Allgemeinplätzen versteckt, kein wirkliches Miteinander aufgebaut und die eigene authentische Persönlichkeit gelähmt wird. Wer mitten in diesem Aufmerksamkeits-Defizit steckt, fragt sich natürlich, wie man wohl am schnellsten seine Mitarbeiter wieder auf Augenhöhe erreichen kann? Schließlich geht es primär darum, Vertrauen aufzubauen, eine Vision zu entwickeln, Beziehungen zu vertiefen, positive Energie im Team zu fördern, sinnvolle Entscheidungen zu treffen, aus Fehlern lernen zu können und Kompromisse zu schließen. Doch ohne Leidenschaft und Emotionen, um diese Aktivitäten mit Energie zu versorgen, wirkt alles nur gewollt und nicht gekonnt. Statt zu begeistern, bleibt bei allen Beteiligten ein fader Beigeschmack haften. Ohne Emotionen können Menschen nicht erreicht werden, doch deren Kreativität, Loyalität und Zuspruch sind Voraussetzung für gelingendes Führungshandeln.

Verschenken Sie jedoch in diesem Dilemma Ihre wichtigste Ressource Zeit nicht! Meiner Erfahrung nach ist es nicht ausreichend, sich ein rein theoretisches Wissen mittels Fachbüchern, Vorträgen oder Seminaren anzueignen. Jetzt geht es darum, nah am Menschen zu sein und die eigene Praxis dafür heranzuziehen, um Sozialkompetenz, Empathie und Vertrauenskultur aufbauen zu können.

Die dabei angeregten neuronalen Vernetzungen werden von unserem Gehirn nur dann ausgebildet, wenn man sich durch Selbstwahrnehmung und das eigene Erfahrungsspektrum täglich mit seinen Werten, seinem Menschenbild und den eigenen wie fremden Emotionen auseinandersetzt. Dies gelingt nur mithilfe eines Sparringspartners, der die vielleicht anfangs noch „hölzernen" ersten Gehversuche spiegelt und hilft weiterzuentwickeln. Die Lernkurve des Einzelnen steigert sich immens und leitet individuelle Lösungsansätze für geeignete Maßnahmen in der Praxis ab.

Menschen sind auf Empathie und Achtsamkeit angewiesen

Interessant dabei ist die Tatsache, dass unser Motivationssystem sehr stark auf Empathie und Achtsamkeit ausgelegt ist. Wenn beides im direkten sozialen Umfeld nicht angesprochen wird, wird das grundlegende menschliche Bedürfnis nach sozialer Akzeptanz ignoriert und geht stattdessen eine fatale Allianz mit der emotionalen Verletzung ein. Die sich daraus ergebenden deutlichen Zusammenhänge zur Mitarbeiterbindung und Zufriedenheit des einzelnen in seiner Organisation sind nicht von der Hand zu weisen.

Weil das Führungsverhalten eng mit der emotionalen Bindung ans Unternehmen verknüpft ist, ist es eine selbstverständliche Voraussetzung, dass Entscheidungsträger bei der Mitarbeiterführung Selbstwirksamkeit benötigen und um die Relevanz des intelligenten Umgangs mit Emotionen wissen. Dabei führt das tiefe Verständnis über

  • die eigenen Werte,
  • Gefühle,
  • Stärken,
  • Schwächen
  • und Motive

zu einem authentischen und überzeugenden Führungshandeln. Hier bestätigt sich der in diesem Zusammenhang immer wieder zitierte Ausspruch „Nur wer sich selbst führen kann, kann auch andere führen". Die Angst, zukünftig viel zu gefühlsbetont aufzutreten, ist übrigens unbegründet, denn in der Geschäftswelt ist nach wie vor Rationalität und Logik dominiernd. Sobald authentische Emotionen hinzukommen, entwickelt sich erst der Garant für nachhaltiges Wachstum und gewinnbringende Veränderung.

Ohne Selbstmanagement keine soziale Resonanz

Die persönliche Selbstmanagementfähigkeit setzt darauf, Strukturen und Mechanismen sozialer Gemeinschaften wahrzunehmen und Beziehungen und Teams weg von einer lähmenden Angstkultur und hin zu einer nachhaltigen Vertrauenskultur zu gestalten. Ohne soziale Führungskompetenz vorgelebt zu bekommen, wird niemand motiviert, loyal und begeistert dem Führungspersonal folgen wollen.

Überprüfen Sie doch einmal nach rein sprachanalytischer Klassifikation selbst (nach Mees, 1985), welche Emotionen von den unten aufgeführten an Ihrem Arbeitsplatz meist vorherrschen:

Beziehungsemotionen

positiv: Verehrung, Wohlwollen, Vertrauen, Zuneigung, Zutrauen
negativ: Abneigung, Abscheu, Verachtung, Ekel, Widerwillen, Trotz, Groll, Hass, Misstrauen

Empathie-Emotionen

positiv: (Mit)-Freude, (Stolz)
negativ: Eifersucht, Neid, (Sorge), (Kummer), Bedauern, Mitleid, (Schuld)

Ziel-Emotionen

  1. Bewertungsemotionen positiv: Freude, Begeisterung, Glück, Zufriedenheit, Lust
    negativ: Trauer, Kummer, Langeweile, Leere, Unlust (Verstimmtheit)
  2. Erwartungsemotionen positiv: Hoffnung, Erleichterung, Befriedigung, Genugtuung, Leidenschaft (Spannung, Ungeduld), Vorfreude, (Lust)
    negativ: Angst, Sorge, Befürchtung, Hoffnungslosigkeit, Entsetzen, Panik, Verzweiflung, Enttäuschung, Frustriertheit, Unruhe, Sehnsucht, Verlangen, Heimweh
  3. Attributionsemotionen positiv: Stolz, Dankbarkeit, (Rührung)
    negativ: Ärger, Wut
  4. Moralische Emotionen positiv: Stolz
    negativ: Schuld, Scham, Reue; Zorn, Entrüstung, Empörung

In dieser Auflistung werden Emotionen zu inhaltlichen Gruppen zusammengefasst und geben messbar darüber Auskunft, wie sich die täglichen Grundemotionen in einer Organisation sprachlich etablieren. Was haben Sie dadurch über die Beziehungsarchitektur an Ihrem eigenen Arbeitsplatz erfahren? Sollten überwiegend negative Gefühle vorherrschen, so deutet dies häufig auf eine Besorgtheit und Aufgeregtheit der Mitarbeiter hin, welche berufliche Situationen als subjektiv bedrohlich und ungewiss einschätzen. Damit geht ein ganzes Füllhorn an Emotionen einher, welche für die Grundemotion Angst verantwortlich sind (nach Izard, 1981):

  • Furcht
  • Traurigkeit
  • Ärger
  • Schuld
  • und Scham.

Sicherlich verbindet der ein oder andere Leser diese Emotionen noch ganz deutlich mit dem zuletzt erlebten Changeprozess im Unternehmen. Neben den sprachlichen lassen sich Emotionen natürlich auch an den mimischen und motorischen Verhaltensweisen von Mitarbeitern ablesen. Dem Phänomen der emotionalen Ansteckung kann sich ohnehin niemand entziehen.

Auslöser identifizieren und Vertrauenskultur etablieren

Wenn Versagensängste, Angst vor Strafe und Ausgrenzung, Angst, Fehler zu machen, Angst vor Beurteilungen oder Feedback, Angst vor Intrigen oder Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes vorherrschen, führt dies zu einer Entwertung der individuellen Kompetenz jedes Organisationsmitgliedes. Genau jenes menschliche Potenzial ist es jedoch, das einem Unternehmen einen unverwechselbaren Sinn vermittelt, im Wettbewerb das entscheidende Kriterium darstellt und nachhaltige gestalterische Verantwortung für die Arbeitswelt von morgen ermöglicht.

Entwickelte emotionale Intelligenz von Entscheidern wirkt nachhaltig auf das Führungsverhalten, weil folgende fünf zentrale Führungsdimensionen erfolgreich genährt werden können und unerlässlich für das Abschaffen des Status Quo sind:

  1. Entwicklung gemeinsamer Ziele und deren Zielerreichung
  2. Bewusstsein über die Bedeutung von Arbeitsabläufen und das eigenständige Arbeitsverhalten
  3. Die Generierung und Aufrechterhaltung von Enthusiasmus, Vertrauen, Optimismus und Kooperation
  4. Ermutigung zur Flexibilität im Entscheidungsverhalten und in Changeprozessen
  5. Hinführen und Aufrechterhalten einer bedeutungsvollen Identität für die Organisation

Führung bedeutet eben, überwiegend Verantwortung für die sozialen Belange am Arbeitsplatz zu übernehmen, d. h. Ängste aktiv abzubauen, um ein Vertrauensklima zu schaffen, in dem Mitarbeiter wieder gerne Verantwortung übernehmen, Entscheidungen leichter gefällt und Innovationen begünstig werden. Wer seiner Rolle als Führungskraft treu bleibt, verteufelt Emotionen nicht, sondern bündelt diese zu uneingeschränkter Glaubwürdigkeit, ethischen Handlungsprinzipien und unterstützt dabei – zum Wohle aller – seine Mitarbeiter bei deren Weiterentwicklung. So lassen Sie zu, dass Menschen erkennen, wer Sie wirklich sind und was Sie elektrisiert.

Geschrieben von Franziska Ambacher Kategorie Unternehmensführung

Über den Autor

Anne Schüller

Franziska Ambacher

Business-Coach, Changemanagement-Consultant und Mediatorin

„Mehr bewegen, anstatt bewegt zu werden"

Franziska Ambacher unterstützt Entscheider und die, die es werden wollen, dabei, einen wertegestützten und sozial kompetenten Führungsstil zu etablieren. Als Expertin für Beziehungsarchitektur, als Business-Coach und Changemanagement-Consultant legt Frau Ambacher ihr Hauptaugenmerk auf den systemischen Ansatz (Wechselwirkung zwischen Individuum, Team und Organisation), um ihre Klienten zu ermutigen, für sich selbst und ihr Lebensumfeld Verantwortung zu übernehmen. Des Weiteren bewusste Entscheidungen zu treffen, die Konsequenzen zu bedenken und für die eigenen Entscheidungen und Handlungen einzustehen.

Zentral sind hierbei nicht nur neue Impulse, sondern vor allem auch die gewinnbringenden Veränderungen im Miteinander einer Organisation. Die Beziehungskultur aller Akteure untereinander ist ausschlaggebend, weshalb der, der Leistung fordert, auch Sinn bieten muss.

Ihr persönliches Credo „Mehr bewegen, anstatt bewegt zu werden" entspricht dem aktuellen Bruch konservativer Arbeitsformen, dem Abbau von Hierarchie und dem Umbau hin zu Netzwerken, damit Mitarbeiter verantwortungsbewusst und begeistert an einem Strang ziehen und Innovation zum festen Teil einer herausragenden Unternehmenskultur wird.

Franziska Ambacher
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