16
April
2012

Social Media macht dumm, oder was?

Letzte Woche habe ich auf t3n eine interessante Infografik zum Thema Social Media und was das mit unserem Gehirn macht entdeckt.

Demo_brain

In dieser Infografik werden Ergebnisse aus wissenschaftlichen Untersuchungen herangezogen und ein ziemliches Horrorszenario kreiert. Social Media sei dafür verantwortlich, dass die Aufmerksamkeitsspanne von 12 Minuten auf 5 Sekunden gesunken sei, wodurch 25 % der Menschen Namen oder andere Details von engen Freunden oder Verwandten vergessen. Demnach macht uns Social Media auch noch egoistischer und überhaupt ist Social Media noch für viele weitere negative Veränderungen des menschlichen Gehirns verantwortlich. Getreu dem Motto, traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast, möchte ich ein paar Gegenthesen aufstellen und zeigen, dass Social Media uns nicht unbedingt dumm macht und dass diese veränderte Gehirntätigkeit auch den ein oder anderen Vorteil mit sich bringen kann.

O.K., fangen wir mal von vorne an: Die Aufmerksamkeitsspanne hat sich auf 5 Sekunden reduziert. Im Marketing kenne ich natürlich das Problem des Information-Overload: Die Aufmerksamkeit des (potenziellen) Kunden zu gewinnen, wird schwieriger, weil täglich so viel auf uns einprasselt, dass das Einzelne (also meine Botschaft) weniger im Gedächtnis des Rezipienten haften bleibt. Ich sehe das sportlich: Möchte ich mit meinen Botschaften wahrgenommen werden, muss ich kreativer werden und mir eben was einfallen lassen, um den Aufmerksamkeitskampf zu gewinnen. Ich frage mich allerdings schon, auf was sich diese 5 Sekunden beziehen sollen. Ich kenne diese früheren 12 Minuten Aufmerksamkeitsspanne auch aus dem Bereich Präsentationen: Im Studium habe ich mal gelernt, dass die Zuhörer nach ca. 12 Minuten abschalten bzw. nicht mehr richtig zuhören können. Dass ein Mensch, der nun regelmäßig im Social Web unterwegs ist, generell nur noch 5 Sekunden aufmerksam sein kann, finde ich doch ein bisschen übertrieben. Zumindest kann das nicht generell auf alle Lebensbereiche übertragen werden. Wie würde das denn aussehen? Richtige Unterhaltungen könnten dann ja gar nicht mehr stattfinden. Bezieht sich diese Zahl z.B. auf Informationen im Social Web, mag es ja durchaus sein, dass man sich gerade einmal ein paar Sekunden Zeit für die Information nimmt: Aber ist das denn so schlimm? Ich nenne das effizient. Aufgrund des Information-Overload muss mein Gehirn in Sekundenschnelle entscheiden, ob diese Information für mich relevant ist oder nicht und ob es sich lohnt, sich näher damit auseinanderzusetzen. Also ich glaube, das macht nicht dumm, sondern zeugt von höchster Intelligenz. Und es veranlasst uns Marketingmenschen zu kreativen Höchstleistungen.

Ja, unsere Welt ist schnelllebig geworden, auch das habe ich neulich in meinem Blogbeitrag: Alles wird anders, und das schon heute! thematisiert. Aber ich bezweifle, dass Social Media alleine daran schuld ist. Da muss doch weit früher angesetzt werden.

Namen vergessen, auch von engen Freunden, vergessene Töpfe auf dem Herd, all das wird durch Social Media gefördert. Ich würde vielmehr sagen, dass Social Media mir auf die Sprünge helfen kann. Denn wahrscheinlich habe ich kurz vor dem Treffen noch auf Facebook und Co. das Profil angesehen, um zu schauen, was es bei meinen Freunden Neues gibt. Wenn mir der Name eines Freundes oder Bekannten dann wirklich nicht mehr einfällt, nehme ich doch einfach mein Smartphone heraus und schaue auf dem Weg auf Facebook und Co. schnell nach, keiner hat’s gemerkt. Schnelle Lösungen auf plötzlich auftauchende Probleme zu finden, ist doch auch intelligent und beansprucht unser Gehirn, wenn auch auf eine andere Art und Weise. Und mal ehrlich, wie oft passiert es denn wirklich, dass man den Namen eines engen Freundes vergisst? Wahrscheinlich ist dies den untersuchten Personen in der zitierten Studie einmal in 10 Jahren oder so passiert.

Dass Unterbrechungen meiner Produktivität schaden, kann ich noch nachvollziehen. Also ich sehe das auch gerade beim Schreiben dieses Artikels. Wahrscheinlich wäre ich schon längst fertig, wenn ich nicht meine Mails abgerufen hätte, und dann musste ich auch noch kurz twittern und dabei habe ich noch einen interessanten Artikel zu einem ganz anderen Thema entdeckt, den ich natürlich auch lesen musste, und das hat mich sicherlich aus dem Thema gezogen. Mein Gehirn musste sich innerhalb dieser Zeit also mehrmals umorientieren und von vorne anfangen. Dass dies Zeit kosten soll, kann ich nachvollziehen. Aber ganz ehrlich, ich finde diese kleinen Ablenkungen angenehm. Sie geben mir und meinem Gehirn die Gelegenheit, noch mal zu starten, wenn ich gerade nicht weiterkomme. Die Unterbrechungen ermöglichen mir auch häufig ganz neue Gedanken, weil ich das, was ich jetzt wieder tue, eventuell mit dem eben Gelesenen verknüpfe. Und das sind dann manchmal Gedanken und Sichtweisen, die ohne Unterbrechungen nicht hätten stattfinden können. Unterbrechungen müssen nicht in jedem Fall immer das Schlechteste sein. Sicher, es kommt auf das Maß an, wie bei so vielen Dingen.

Und es geht noch weiter: Ja, wir werden auch noch egoistischer, auf uns selbst bezogener und überhaupt besteht die Welt bald nur noch aus Egomanen und wird deshalb bald untergehen, oder so ähnlich. Dass man auch in sozialen Netzwerken beliebt sein möchte, finde ich in Ordnung. Im normalen Leben ist uns das ja auch nicht egal. Ich habe da immer dieses Bild von amerikanischen HighSchool-Filmen vor Augen, in denen die Hübschen am beliebtesten sind und alles dafür tun, um weiterhin beliebt zu bleiben. Ich finde, Social Media rückt dieses Bild ein wenig zurecht, weil hier auch andere Dinge zählen: z.B. Kreativität. Und dass ich plötzlich nur noch egoistische Freunde habe, kann ich nicht gerade behaupten. Im Gegenteil: Ich finde es einfacher, sozialer zu werden: Weil ich plötzlich auch mit Bekannten über Jahre hinweg Kontakt halte, mich dafür interessiere, wie es Ihnen geht, die ohne Social Networks längst aus meinem Leben verschwunden wären.

Fazit

Ich liebe ja Infografiken, z.B. twittere ich sie auch zu gerne. Habe ich übrigens auch mit dieser Infografik gemacht. Aber in diesem Fall halte ich es für kritisch, diese Zahlen in eine Infografik zu packen: Denn hier werden Zahlen aus Studien bruchstückhaft zusammengestellt, unkommentiert stehen gelassen und ein Bild entworfen, das so nicht richtig ist. Zum einen weil hier viele andere Faktoren eine Rolle spielen, zum anderen weil der Eindruck erweckt wird, dass diese Veränderungen des Gehirns ausschließlich negativ sind. Social Media bietet so viele Chancen, sowohl für Unternehmen als auch für Privatpersonen, und ich finde, darauf sollten wir uns konzentrieren.

Und noch eine Anmerkung zum Schluss: Falls Sie sich Fragen, ob Sie selbst zu denjenigen gehören, die schon von der Social-Media-Dummheit betroffen sind: Falls Sie diesen Artikel komplett gelesen haben, können Sie sich glücklich schätzen, da Ihre Aufmerksamkeitsspanne noch mehr als 5 Sekunden beträgt und Sie damit noch nicht zu den Opfern von Social-Media-Dummheit zählen ;-) Falls Sie nur das Ende gelesen haben, sollten Sie schnell den gesamten Artikel lesen, um Ihre ersten Symptome zu bekämpfen.

Geschrieben von Beate Peter Kategorie Social Media

Über den Autor

Beate Peter

Beate Peter

Nach dem Studium der Unternehmenskommunikation an der Hochschule der Medien Stuttgart arbeitete Beate Peter seit Anfang 2011 bis zum Oktober 2012 als Beraterin und Projektmanagerin bei modus_vm. Im Fokus ihrer Arbeit stand stets die ganzheitliche Kommunikation. Sie entwickelte kreative Marketingkonzepte mit maximaler Wirkung für unsere Kunden. Die Qualität Ihrer Blogbeiträge schätzen wir sehr, deshalb führen wie Sie hier als Gastautor weiter.