Transparenz durch Bewertungsportale? Eine durchwachsene Bilanz
Der aktuelle Bericht des ZDF-Verbrauchermagazins WISO bringt Erschütterndes zutage.
Die schöne neue und schnelllebige Welt des Web 2.0 beschert uns in immer kürzeren Abständen immer neue Trends. Einer ist die absolute Demokratisierung des Verbrauchers, mit allem Wenn und Aber.
Persönliche Erfahrungsberichte, die früher als Mund-zu-Mund-Propaganda über den Gartenzaun oder im Sportverein – positiv wie negativ – die Runde machten, blieben in der Auswirkung lokal begrenzt. Wenn also ein Handwerksbetrieb gute Arbeit leistete oder ein Koch in seinem Restaurant einen schlechten Tag hatte, wusste das am nächsten Tag zumindest das halbe Dorf. Mehr aber auch nicht, und das Frappierende daran ist, dass Menschen zum Vergessen und zum Verzeihen neigen. Der Schaden oder der Ruhm war also sowohl räumlich als auch zeitlich begrenzt. So viel zur guten alten Zeit.
Heute hat sich der Verbraucher emanzipiert und teilt seine Meinung unverblümt der gesamten Weltöffentlichkeit mit. Ganz gleich ob es der Restaurantbesuch, ein bestimmtes Produkt, der Urlaub, eine Handwerkerleistung oder der Arztbesuch ist, der moderne Verbraucher und Kunde fühlt sich heute verpflichtet, seine Erfahrungen mitzuteilen. Und er orientiert sich natürlich an den Erfahrungen anderer.
Dies bietet für betroffene Unternehmen riesige Chancen und gleichermaßen enorme Risiken
Immerhin, die früher im Marketing gelehrte These, dass positive Berichte an bis zu 3 Personen und negative Erlebnisse hingegen an bis zu 10 Personen weitergegeben werden, scheint widerlegt zu sein, glaubt man einer Studie der trnd AG > PDF-Download. Demnach wirkt positive Mundpropaganda deutlich stärker, weil sie besser hängen bleibt.
Ich persönlich habe da allerdings so meine Zweifel, denn wir alle kennen doch genügend Mitmenschen, die sich permanent (z.B. am Stammtisch) dadurch profilieren wollen, dass sie schlecht über andere reden. In den Online-Portalen ist die Stimmung allerdings eher paritätisch, weil basisdemokratisch. Heute gibt es im Internet Bewertungsportale mit Millionen registrierter User für alles Mögliche. Hier eine kleine Auflistung einiger unabhängiger Portale und ihrer Schwerpunkte:
Reisen
– HolidayCheck.de – Tripadvisor.de – Hotel.de
Restaurants/Dienstleistungen
– Qype.de – Restaurant-Kritik.de
Ärzte
– DocInsider.de – Jameda.de
Produkte
– Dooyoo.de – Ciao.de – Amazon.de
Weitere Gattungen, die ich hier nicht weiter reflektieren möchte, sind Portale für die Bewertung von Lehrern oder Professoren bzw. Bildungseinrichtungen sowie von Unternehmen als Arbeitgeber.
Bei den o.g. für Unternehmen und ihre Leistungen relevanten Bewertungsportalen ist aus meiner Sicht höchste Vorsicht geboten. Zum einen, weil viele User sich hier unter einem Pseudonym bzw.Nickname voll austoben können, ohne damit rechnen zu müssen, für Ihre Aussagen zur Verantwortung gezogen zu werden. Weiter besteht natürlich grundsätzlich die Gefahr des Missbrauchs, indem besonders "gewitzte" Unternehmer entweder selbst oder durch Freunde unliebsame Wettbewerber in Misskredit bringen können und/oder sich selbst auf dieselbe Weise zu einer gefakten Ansammlungen von Lobeshymnen verhelfen können.
Kann man also als Verbraucher solchen Portalen vertrauen?
Die ZDF-Verbrauchersendung WISO (aktuelle Sendung vom 30.01.2012) machte den Selbstversuch und veröffentlichte auf den o.g. Reiseportalen völlig absurde Reiseberichte, in denen z.B. in einem Düsseldorfer Hotel der tolle Meerblick gelobt wurde. Mehr als die Hälfte dieser offenkundig falschen Erfahrungsberichte wurde tatsächlich veröffentlicht. Da fehlte es wohl am Korrektiv einer fachkundigen Redaktion. Zum Bericht "Der getäuschte Urlauber" in der ZDF Mediathek.
Als Entwarnung dient der Focus-Beitrag "Eigenlob im Web kommt als Bumerang zurück", der aufzeigt, dass sich die Portalbetreiber durchaus der Problematik bewusst sind und entsprechend reagieren bzw. sich die demokratische Community selbst reinigt. Der Zweifel bleibt, ein Missbrauch ist nicht generell auszuschließen.
Meine Erfahrung zeigt, dass viele Unternehmen sich mit diesem Thema noch gar nicht oder bislang nur unzureichend auseinandergesetzt haben. Ich rate daher jedem Unternehmer oder den für das Marketing verantwortlichen Mitarbeitern, alle für ihre Zielgruppe relevanten Portale regelmäßig zu besuchen und gegebenenfalls gegen ungerechtfertigte Kritik – wenn es sein muss auch juristisch – vorzugehen.
Ein Negativbeispiel, wie man nicht mit Kritik umgehen sollte, lieferte jüngst ein Göttinger Pizza-Lieferdienst: Er lauerte einem seiner Kunden, der sich über die schlechte Qualität der gelieferten Ware auf Pizza.de ausgelassen hatte, persönlich auf. Der Kunde wurde von der Straße weg in die Pizzeria entführt, stundenlang festgehalten, bedroht und zur Zahlung eines Schadenersatzes von € 800,- gezwungen. Zum Artikel "Schlechte Bewertung auf Lieferplattform: Pizza-Bäcker entführt Kunden".
Immerhin, dieses letzte Beispiel zeigt deutlich, dass manche Unternehmer die Sache ernst nehmen, in diesem Fall vielleicht etwas zu ernst.